Wenn keiner weiß, was Jüngerschaft ist …
- Jürgen Justus
- 19. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Warum eine unklare Vorstellung von Jüngerschaft zur Krise der Evangelisation führt – Eine Analyse für Deutschland
Zugegeben, der Titel ist etwas provokant – und nein, ich behaupte nicht, dass ich der Einzige bin, der es verstanden hat. Nop. Hab ich nicht! Ich bin immer wieder überrascht, wie viel ich noch nicht verstanden habe. Aber ich glaube: Wir haben ein ernsthaftes Problem.
In den letzten Tagen habe ich eine Analyse aus dem amerikanischen Raum gelesen, die mich tief erschüttert hat. Was dort beschrieben wird, trifft auch uns – ganz direkt. Viele Gemeinden, viele Leiter, viele Strukturen scheinen zu funktionieren, aber unter der Oberfläche fehlt Klarheit.
Und wenn wir nicht wissen, was wir unter „Jüngerschaft“ verstehen, wie sollen wir dann Menschen in die Nachfolge führen?
Stell dir vor, du fragst 20 Pastoren, was sie unter „Jüngerschaft“ verstehen – und bekommst 20 verschiedene Antworten. Manche davon sind unklar, andere widersprüchlich, manche beschreiben ein Programm, andere einen Prozess, wieder andere einen Zustand. Was Carey Nieuwhof im amerikanischen Kontext beobachtet (siehe church trends 2025), findet sich auch in Deutschland wieder – und trifft damit einen wunden Punkt.
Ein deutliches Symptom: Evangelisation liegt im Sterben
Ähnlich wie in den USA zeigen Studien und Umfragen im deutschsprachigen Raum, dass viele Gemeinden ihre Evangelisationsarbeit als ineffektiv wahrnehmen. Während es an genauen Prozentzahlen mangelt, ist der Tenor klar: Viele Gemeinden erreichen ihr Umfeld kaum noch mit dem Evangelium. Das hat verschiedene Ursachen, aber einer der Hauptgründe liegt in der unklaren Vorstellung von Jüngerschaft. Wer nicht weiß, was er hervorbringen will, wird auch kaum einen Weg finden, wie er es tut. Und wenn Jüngerschaft das Ziel ist, aber keiner sagen kann, was genau damit gemeint ist, wird das Gemeindeleben diffus, beliebig und kraftlos.
Jüngerschaft ohne klare Definition ist wie ein Kompass ohne Norden. Kein Wunder also, dass in vielen Kirchen Evangelisation fast zum Stillstand gekommen ist. Denn wovon sollen wir Menschen überzeugen, wenn wir selbst nicht wissen, wohin die Reise geht?
Transferwachstum statt Bekehrung – Ein Problem auch in Deutschland
Auch in Deutschland beobachten wir, dass das Wachstum vieler Gemeinden primär durch Transferwachstum geschieht: Christen wechseln von einer Gemeinde zur nächsten, ohne dass neue Menschen zum Glauben finden. Die Kirche lebt von internen Bewegungen, aber verliert die Außenwirkung. Das ist fatal in einem Kontext, in dem die Kirchenbindung ohnehin abnimmt. Studien von Philipp Bartholomä zeigen, dass selbst in Freikirchen der Anteil von Menschen, die durch aktive Evangelisation zum Glauben finden, oft gering ist. Ein Großteil des Wachstums speist sich aus dem "Umparken" von Christen aus anderen Denominationen oder Gemeinden.
Was ist eigentlich Jüngerschaft? – Eine Klärung für den deutschen Kontext
Diese Frage ist kein theologisches Luxusproblem. Sie ist entscheidend. Wenn wir nicht wissen, was wir meinen, wenn wir „Jüngerschaft“ sagen, werden wir nie klare Prozesse entwickeln können. Wir werden nie Menschen in die Nachfolge Jesu führen, wenn unser Ziel diffus bleibt. Es ist wichtig, Jüngerschaft im Kontext der deutschen Kultur zu betrachten, die oft von Skepsis, Individualismus und einer säkularen Weltanschauung geprägt ist.
Jüngerschaft ist nicht:
ein Kurs mit 8 Einheiten
ein mentales Wissen über Bibelinhalte
ein frommes Aktivitätsprogramm
das Übernehmen amerikanischer Modelle ohne Kontextualisierung
Jüngerschaft ist ein Lebensstil, der auf der Beziehung zu Jesus basiert – und Frucht bringt. Es geht darum, dass Menschen in die Gegenwart Jesu kommen, sich verändern lassen und anfangen, selbst andere zu Jüngern zu machen. Das ist ein reproduzierender Prozess. Und dieser Prozess braucht klare Vision, klar definierte Schritte und eine verbindliche Kultur, die auf den deutschen Kontext zugeschnitten ist.
Zeit zum Umdenken – und Handeln
Die Kirche wird ihre Kraft zurückgewinnen, wenn sie ihren Auftrag neu entdeckt: Jünger machen. Das ist keine Nebensache. Es ist der Kern der Sendung Jesu (vgl. Matthäus 28,19–20). Es ist auch kein einmaliges Event, sondern ein wachstumsorientierter Weg – mit Tiefgang, Ausdauer und Zielstrebigkeit.
Wir brauchen dringend:
eine klare Definition von Jüngerschaft, die den deutschen Kontext berücksichtigt
eine einfache, umsetzbare Struktur für Multiplikation, die in den Alltag passt
Leiter, die selbst vorleben, was sie weitergeben und authentisch sind
eine Kultur, die geistliches Wachstum feiert – nicht nur Events, sondern den Alltag transformiert.
die Bereitschaft, auch neue, unkonventionelle Wege zu gehen, um Menschen zu erreichen, die mit traditionellen Gemeindeformen nichts anfangen können.
Kirche 2030: Jüngerschaft als Basis für die Zukunft
Die Studie "Kirche 2030" der EKD hat ergeben, dass die Kirche in Zukunft verstärkt auf Ehrenamtliche setzen und neue Formen der Gemeinschaft entwickeln muss. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer klaren Jüngerschaft, die Menschen befähigt, ihren Glauben im Alltag zu leben und weiterzugeben.
Fazit
Solange wir nicht wissen, was wir unter Jüngerschaft verstehen, werden wir keine echten Jünger hervorbringen. Und solange wir keine Jünger hervorbringen, wird auch unsere Evangelisation ins Leere laufen. Wer sich nach Erweckung sehnt, muss zurück zum Auftrag Jesu – und ihn ernst nehmen: Macht zu Jüngern alle Völker.
Was bedeutet Jüngerschaft für dich – ganz konkret, im Blick auf den deutschen Kontext? Welche nächsten Schritte könntest du heute schon gehen, um eine Kultur der Jüngerschaft in deiner Umgebung zu fördern? Wie kannst du dabei die spezifischen Herausforderungen und Chancen des deutschen Kontexts berücksichtigen?
Jetzt ist die Zeit. Nicht für Programme. Sondern für Jüngerschaft – die das Leben verändert und ansteckend ist.
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